Macron, Europa und Deutschland
6. Juni 2017 von H. Wittmann
Unsere Redaktion hat heute morgen den Abgeordneten Pierre-Yves Le Borgn‘ um eine Stellungnahme zur aktuellen Situation in Frankreich und insbesondere zur deutsch-französischen Kooperation gebeten. Eben kam seine Antwort:
Pierre-Yves Le Borgn‘:
Macron, Europa und Deutschland
„Frankreich und Deutschland sind der Kern Europas. Deutschland ist das Herz, Frankreich ist der Kopf.“ Victor Hugo: Le Rhin, 1842
Am 7. Mai 2017 ist Emmanuel Macron zum Präsidenten der Französischen Republik gewählt worden, mit mehr als 66% der Stimmen. An diesem Sieg gibt es nichts zu deuteln, er wurde in einem Wahlkampf errungen, dessen Verlauf die tiefgehende Verwirrung eines großen Teils der französischen Bevölkerung hat erkennen lassen. Dieser Verwirrung liegt die Angst vor der Zukunft zugrunde, die Angst vor einer unsicheren Welt, die die Arbeitsplätze plattmacht, Schicksale und Lebenspläne. Die Antworten darauf dürfen nicht bloße Worte sein, es muss gehandelt werden. Die Arbeitswelt muss geschützt werden vor unlauterer Konkurrenz, vor Dumping auf den Finanzmärkten, im Steuersektor, im Sozialbereich sowie beim Umweltschutz. Die Globalisierung macht nicht alle glücklich; daran zu erinnern klingt wie ein Euphemismus. Es ist höchste Zeit für einige Europa-Kommissare, die Auswirkungen zu ermessen. Die Armut und die Zunahme der Ungleichheiten können nicht die Zukunft unseres Kontinents sein.
Schützen und Bewahren muss das Ziel sein. Schützen, indem man bei Verhandlungen über Freihandelsverträge zur Bedingung macht, dass Anti-Dumping-Regeln respektiert werden; schützen durch einen „Buy European Act”, der diejenigen Unternehmen bevorzugt, die die Hälfte ihrer Produktion in der Union ansiedeln; schützen, indem man eine Obergrenze für den CO2-Fussabdruck bei öffentlichen Aufträgen einführt, um das Klima zu bewahren, die Umwelt und die ortsnahen Arbeitsplätze. Das sind die Leitlinien, von denen ich hoffe, dass der Präsident Emmanuel Macron sie sich zu eigen machen wird. Ebenso wie die Überarbeitung der EU-Entsenderichtlinie, um den grassierenden Betrug zu bekämpfen. Jetzt ist es Zeit. Ja zur verstärkten Konvergenz der Ökonomien Deutschlands und Frankreichs, auch Ja zur notwendigen Solidarität unter Europäern. Soziale Gerechtigkeit darf keine Restgröße sein. Die Einführung einer Mindestlohngarantie auf EU-Ebene könnte ihr z. B. Substanz verleihen.
Es ist an Frankreich und an Deutschland, in dieser Richtung neue Impulse zu geben. Franzosen, wir haben eine Verantwortung, und zwar die, unsererseits die Strukturreformen einzuleiten, die unsere Wirtschaft braucht. Diese Anstrengung, die unter François Hollande begonnen wurde zu unternehmen, muss weitergeführt werden, insbesondere im Bereich der beruflichen Bildung, des Arbeitsrechts und des Steuersystems. Solche Reformen werden schwierig sein. Sie müssen zu einem soliden Wachstum mit hohem Beschäftigungsniveau führen. Von ihrem Erfolg hängt auch das notwendige Vertrauen jenseits des Rheins ab, damit Deutschland seinen Teil der Anstrengungen für Europa übernimmt. Welche Anstrengungen können das sein? Der Abbau seines Handelsüberschusses, die Vergemeinschaftung des Schuldenmanagements der Länder der Eurozone, die Schaffung einer parlamentarischen Versammlung der Eurozone, die Ernennung eines europäischen Wirtschaftsministers.
Die Wiederbelebung der französisch-deutschen Zusammenarbeit ist die Bedingung für den europäischen Fortschritt. Wir müssen unsere deutschen Freunde ermuntern an uns zu glauben. Vertrauen kann man nicht verordnen, man muss es handelnd schaffen. Es muss auch gegenseitig sein. Das ist die Aufgabe Emmanuel Macrons, es ist auch die der parlamentarischen Mehrheit, die am 18. Juni aus den Urnen hervorgehen wird. Wieder Glauben an Europa vermitteln, das Projekt der Gründungsväter weitertragen, Begeisterung wiedererwecken für das Ideal, das noch in so Vielen von uns steckt, all das ist möglich. Europa ist unser Kontinent, unser Erbe, unsere Zukunft. Es ist auch das Projekt einer Gesellschaft, ein Fundament von Werten und Rechten. Es ist nicht zuletzt und vor allem das, was wir daraus machen. Es gibt keine wirkliche Errungenschaft, wenn nicht gleichzeitig Maßnahmen zur Abwendung der potentiell negativen Auswirkungen ergriffen werden. Die Europäer müssen sich Europa wieder aneignen und wieder träumen. Wir haben den Schlüssel in der Hand. Wir dürfen nicht enttäuschen, wir müssen handeln.
Pierre-Yves Le Borgn‘
Abgeordneter des Siebten Wahlkreises der Franzosen im Ausland
Vorsitzender der Deutsch-französischen Freundschaftsgruppe der französischen Nationalversammlung
Dazu auf unserem Blog:
> Le Renouveau de la coopération franco-allemande (I) – 18. Mai 2017
> Le renouveau de la coopération franco-allemande : L’économie – 22. Mai 2017
Es lohnt sich, die Reden des Abgeordneten Pierre-Yves Le Borgn‘, die wir auf unserem Blog dokumentiert haben, nachzulesen. Sie enthalten seine Überzeugungen und sein historisches Fundament, mit dem er sich für den Erfolg der deutsch-französischen Kooperation so erfolgreich engagiert hat. Als Freund zögert er nicht, auch Probleme in das Gästebuch des Nachbarn zu schreiben, genauso, wie er auch seinem Gewissen folgte, wenn er die eigene Regierung kritisierte. Und Mut hat er als Mitglied der PS, sich mit Nachdruck zugunsten von Emmanuel Macron und seinen Reformen einzusetzen.
> Agir pour vous, gagner ensemble avec Emmanuel Macron – Pierre-Yves Le Borgn’ est le candidat député des Français de l’étranger, Circonscription Allemagne, Europe Centrale et Balkanique. Il tiendra des réunions publiques à Varsovie le 7 juin, Francfort le 8 juin, Stuttgart le 9 juin, Vienne le 12 juin, Munich le 13 juin, Hambourg le 14 juin, Berlin le 15 juin et Cologne le 16 juin.
Die Wahlbeteiligung ist beim ersten Wahlgang für die Auslandsfranzosen mit 19,1 % zu niedrig! > Législatives 2017 : la République en marche en tête chez les Français de l’étranger LE MONDE, 05.06.2017
> Hannover: Die Rede von Pierre-Yves Le Borgn‘ zum Deutsch-französischen Tag 2017 22. Januar 2017
> Pierre-Yves le Borgn’ : Braucht die deutsch-französische Zusammenarbeit ein neues Fundament?, 28. Januar 2014