Archiv für Februar 2019

Dr. Isabelle Bourgeois (CIRAC): Soziale Gerechtigkeit und justice sociale – zwei „falsche Freunde“

Mittwoch, 6. Februar 2019

Do., 7. Februar 2019 19:30
Veranstaltungsreihe: Frankreich-Schwerpunkt
Dr. Isabelle Bourgeois (CIRAC): Soziale Gerechtigkeit und justice sociale – zwei „falsche Freunde“
Warum sich Franzosen und Deutsche manchmal so schwer verstehen
Stadtbibliothek Stuttgart, Mailänder Platz 1

Soziale Gerechtigkeit bzw. justice sociale wünschen wir uns alle. Besonders in Wahlkampfzeiten taucht dieser Begriff als Forderung nach „mehr Gerechtigkeit“ ganz oben auf der politischen Agenda auf. Doch was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? Wenn man sie genauer betrachtet, stellt man fest, dass sie sich nicht so einfach definieren lassen, wie es auf den ersten Blick erscheint. Auch wird deutlich, dass diese Sammelbegriffe in ihren jeweiligen nationalen Kontexten mit anderen Inhalten gefüllt werden. Soziale Gerechtigkeit und justice sociale sind nur anscheinend identisch – es sind typische sog. „falsche Freunde“. Eine deutsch-französische Reflexion über diese Begriffe kann nicht nur dazu beitragen, Missverständnisse zu vermeiden, sondern durch den Vergleich das Thema selbst erhellen.


> Nachgefragt: Ein Gespräch mit Isabelle Bourgeois über die Bewegung der “Gelben Westen”
8. Februar 2019 von H. Wittmann


Unser Fotoalbum:

Isabelle Bourgeois betreibt die Dialogplattform > www.tandem-europe.eu. Zwischen 1988 und 2017 forschte sie am Centre d’Information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC). Sie is Chefredakteurin der Zeitschrift Regards sur l’économie allemande. Der Abend wird moderiert von Prof. Dr. Henrik Uterwedde, der als ehemaliger Vizedirektor des Deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg (DFI) zu den herausragenden Kennern Frankreichs gehört.

Vortrag auf Deutsch.

Die Veranstaltung wird von der Robert Bosch Stiftung mit Mitteln der DVA-Stiftung gefördert.

#Lire II: Elise Fontenaille, Banksy et moi

Dienstag, 5. Februar 2019

Die Schriftstellerin Elise Fontenaille (*1960) wohnt in Paris sie schreibt Romane, die in den Verlagen Grasset, Stock und Calmann-Levy veröffentlicht werden. Und sie schreibt auch für Jugendliche und dies mit einem beachtlichen Erfolg: > Bibliographie. 2017 ist bei Klett Sprachen ihre Roman > Banksy et moi erschienen.

Es geht los mit der Vorbereitung für die Lektüre, die nicht überlesen werden darf: Am besten legt man sich ein Carnet de lecture  an, um sich nach der Lektüre der einzelnen Kapitel an Personen, Fakten und Ereignisse besser erinnern zu können. Man wird staunen, wenn man nach einem Jahr sein Carnet de lecture wieder zur Hand nimmt, es durchblättert und sich daran erinnert, was man alles in den letzten Monaten gelesen hat. Die Welt der Literatur bietet eben mehr als wenn man nur täglich auf das Smartphone starrt:

In welche Kategorie gehört > Banksy et moi? Nun, die 4. Umschlagseite – sie kennen das, man nimmt ein Buch zur Hand, betrachtet den Titel, und dann dreht man das Buch rum und liest den Klappentext – gibt einen Hinweis auf das 5. Lernjahr Französisch. Eigentlich schade, denn diejenigen, die Französisch vorher abwählen, verpassen da etwas. Würden sie das Buch eher in die Hand bekommen, könnte es passieren, dass der Lesevirus sie fest in den Griff nimmt und sie Französisch doch noch behalten, um die Energie nicht nur dieser Lektüre voll auszuleben.

Um es gleich zu sagen, nicht alles, was in diesem Buch berichtet wird, darf nachgemacht werden: Graffiti irgendwo draufmalen oder sprayen, am besten noch mit einer Schablone, muss ja schnell gehen – und überhaupt, es geht auch gar nicht, dass die Farbdosen zum Sprayen dafür geklaut werden. Und das alles geschieht in  einer Umgangssprache, die meinen Freunden in Paris, die auf meine korrekte Wortwahl achten, die Haare zu Berge stehen lassen würden. Literatur ist eben gefährlich,

In der Stadtbücherei in Stuttgart liegt schon mal ein Feuerlöscher im Buchregal: Literatur ist gefährlich.

man findet da so viele Anregungen drin, die man gar nicht alle auf einmal umsetzen kann. Manchmal haben wir hier schon vorgeschlagen, die Stücke nachzuspielen, hier sollte man sich besser auf das verbale Nachspielen beschränken.

Darwin lebt mit seiner Mutter in Paris. Als man beginnt das Viertel aufzuwerten und damit die Mieten zu erhöhen, findet Darwin eine Freundin und eine Idee: Mit Eva und seiner Ratte Banksy imitiert er den englischen Straßenkünstler. Ihr Bild, das auf einmal überall im Viertel auftaucht, ist zunächst ein stummer Protest, der aber anklagend ist, man will sich nicht alles gefallen lassen.

Darwin ist ganz schön cool drauf. Eine Wohnungsräumung filmt er und stellt das Video ins Netz: „On s’indigne, on s’indigne, et puis on oublie.“ Also muss man eine andere Aktion starten. Da lernt Darwin Eva kennen und beginnt für sie zu schwärmen: „elle a de l’or entre les doigts“. Nachdem Darwin sich eine Ratte gefangen hat, sie zähmt und alles Eva erzählt, kommen sie zusammen auf eine Idee: Eva: „Tu as pensé à un dessin précis?“

> Klett Augmented
Elise Fontenaille
> Banksy et moi
80 Seiten
ISBN 978-3-12-592302-7

Grand Débat avec les élus d’Île-de-France et les acteurs associatifs de l’Essonne

Montag, 4. Februar 2019

Mehr als 5 Stunden hat Präsident Macron in der Pariser Vorortsgemeinde Évron mit Bürgermeistern diskutiert. Le „Grand Débat National“, den er entwickelt hat, nachdem ab November Bürgerinnen und Bürger die „gilets de sécurité“ übergestreift hatten, weil die Absicht der Regierung aus ökologischen Gründen die Benzinsteuer anzuheben, buchstäblich das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Diese Maßnahme ist längst zurückgenommen und die Regierung hat ein 10 Milliarden-starkes-Programm aufgelegt, um die Kaufkraft zu stärken und den SMIC zu erhöhen. Die Bewegung der „Gilets jaunes“ hat die sozialen Ungleichheiten und den vergessenen Rest in Frankreich angeklagt. Der Präsident und die Regierung suchen in einer landesweiten Organisation einer Nationalen Debatte den Dialog mit den Bürger/innen zu führen: > Grand Débat National

Präsident Macrons Umfragewerte verbessern sich. Jetzt stellt sich aber die Frage, welche Schlussfolgerungen wird der Präsident aus den Ergebnissen der Nationalen Debatte ziehen? Wie wird er neue Akzente in seiner Reformpolitik setzen. Wird er gar zu einer bestimmten Frage ein Referendum möglicherweise am Tag der Europawahl abhalten lassen ? Wir können hier schon mal nachlesen > Référendum en France. Er würde damit zwar nicht eine der vielen Hauptforderungen der > Gilets jaunes nach einem Référendum d’initiative citoyenne RIC erfüllen, aber ein Erfolg würde seine Position wieder festigen.

Immer wieder gibt es im politischen Leben Frankreichs Momente, in denen die Verfassungswirklichkeit modifiziert wird. Es ist noch zu früh, darüber zu spekulieren, aber die Absicht Macrons in allen Regionen an Bürgerbefragungen teilzunehmen, hat das Zeug, die Position des Präsidenten im Gefassungsgefüge…. na was nun? zu verstärken? zu schwächen? Das hängt vom Ergebnis ab. Macron wagt mutig viel:

Auf unserem Blog:

#Lire I: Dennis Fender, Depuis notre dernière rencontre

Montag, 4. Februar 2019

> Nachgefragt: Dennis Fender, Depuis notre dernière rencontre – 20. März 2019

Dennis Fender hat einen spannenden Kurzroman > Depuis notre dernière rencontre für das 4. Lernjahr Französisch geschrieben. Damien in Rouen erwartet Mo, wie er seinen deutschen Austauschpartner Moritz bald nennen wird. Die Dinge nehmen ihren Lauf, Mo kommt in Rouen an und wird von Damien und seiner Mutter abgeholt. In der Schule bekommen sie die Aufgabe an einem Projekt über deutsch-französische Beziehungen teilzunehmen. Ihr Thema die Rede des französischen Präsidenten Charles De Gaulles 1962 in Ludwigsburg, der dort damals seine berühmte Rede an die deutsche Jugend gehalten hat. Gut, dass Moritz gerade angekommen ist, denn de Gaulle hatte seine Rede damals auf Deutsch gehalten und mit Mos Hilfe arbeiten Damien seine Mitschülerin an ihrem gemeinsamen Referat.

Literatur auf unserem Blog:

> Albert Camus, L’hôte — Neu: Schülerarbeitsheft

> Relire : Albert Camus, L´Étranger

> Lesebericht: Catherine Briat, Le Divan rouge

> Vergleich: Sartre oder Camus?

> Frau Radisch: Warum schreiben die Franzosen so gute Bücher?

> Videos im Französischunterricht: Literatur, Geschichte, Politik, deutsch-französische Beziehungen

> Stuttgart. Soirée à thème :
Politique – Littérature des immigrés en France
avec une bibliographie et une sitographie

> #französische Literaturlesen

> Paul est devenu bouquiniste

> Präsident Macron : Lancement de la stratégie internationale pour la langue française et le plurilinguisme (V) : La lecture à l’école

Und sie haben Glück, es gibt sogar einen Zeitzeugen. Der Großvater von Damien war damals in Ludwigsburg mit dabei und kann ihnen von der besonderen Atmosphäre berichten, als de Gaulle im Hof des Ludwigsburger Schlosses am 22. September 1962 diese Rede hielt. Vier Monate später unterzeichneten er und Adenauer im Élyséepalast den deutsch-französischen Freundschaftsvertag (auf unserem Blog > 50 ans Traité de l’Élysée) und dann auch den Zusatzvertrag zum Deutsch-Französischen Jugendwerk.


Dazu auf unserem Blog:

> Staatsakt in Ludwigsburg anlässlich des 50. Jahrestages der Rede General de Gaulles an die deutsche Jugend – 22. September 2012

> Fotos vom Staatsakt in Ludwigsburg am 22. September 2012 – 23. September 2012


Aber manchmal überholt die Literatur die Realität. Natürlich ist da ein großer Zufall mit im Spiel, mit dem die Sorgen des Großvaters gelöst werden. Dennis Fender ist es sicherlich aus guter eigener Anschauung gelungen, eine sehr realistische Geschichte zu erzählen, die die letzten Zauderer und Bedenkenträger vor einen Schulaustausch mit Frankreich beruhigen kann. Natürlich werden nicht alle so ein Abenteuer wie Mo hier erleben, aber der Kontakt mit den neuen Freunden und der stete Vergleich mit den Verhältnissen in Deutschland ist schon Abenteuer genug. Mo entdeckt die Rivalitäten zwischen Städten in der Region seines neuen französischen Freundes und erzählt vom Zwist Köln-Düsseldorf. Ganz schön streng, denkt sich Mo, als er mit Damiens Lehrerin Bekanntschaft macht und ist kurz davor, sich nach seinen deutschen Lehrern zu sehnen.

Fender erzählt hier das Besondere des deutsch-französischen Schüleraustausch: Kaum fangen sie das Projekt an, entdecken sie, wie aufregend die Zeit der deutsch-französischen Wiederannäherung nach dem Krieg war. Ihr Zusammentreffen ist zufällig, sie lernen aber auch wie planmäßig und zielstrebig de Gaulle und Adenauer die Aussöhnung zwischen den beiden Staaten betrieben haben. Ihr Austausch ist der beste Beitrag zur deutsch-französischen Kooperation, deren Grundlage die Kenntnis der Sprache des Nachbarn ist.

Dennis Fender
> Depuis notre dernière rencontre
Lektüre + > Klett Augmented
A2 – B1
71 Seiten
978-3-12-591004-1

Exzellenzpreis für beste Französischkenntnisse – Festveranstaltung der Deutsch-Französischen Gesellschaft Mainz im Gutenberg-Museum

Montag, 4. Februar 2019

Am Samstag, dem 2. Februar 2019 haben die 14 Mainzer Besten des Abiturjahrgangs 2019 im Fach Französisch den Exzellenzpreis / Prix d’Excellence der Deutsch-Französi-schen Gesellschaft Mainz e. V. erhalten. Dieser Exzellenzpreis besteht seit 2018 und zählt bereits in seinem zweiten Jahr zu den großen, begehrten Jungendpreisen der Stadt Mainz. Unterstützt wird der Exzellenzpreis durch die Stadt Mainz, das Gutenberg-Museum und den Gutenberg-Drucklanden, das Institut Français in Mainz, das französische Generalkonsulat und das Deutsch-Französische Jugendwerk.

Das > Gutenberg-Museum bietet der Ehrung als Weltmuseum der Druckkunst und anerkannter Ort des Kulturdialogs einen passenden Rahmen. Feierlich überreichten Frau Kulturdezernentin Marianne Grosse und Frau Konsulin der Republik Frankreich Claire Marrec gemeinsam die handgefertigten Urkunden des Gutenberg-Druckladens an die Mainzer Preisträgerinnen und Preisträger.

Der Präsident der > Deutsch-französischen Gesellschaft in Mainz Professor Dr. Franz Felten sagte in seiner Ansprache u. a.: „Eine fremde Sprache sprechen bedeutet weitaus mehr als sich verständlich machen zu können. Wir erreichen unsere Mitmenschen am besten über ihre Muttersprache. Mit Nelson Mandela können wir formulieren: „Sprechen wir zu jemandem in einer der Sprachen, die er versteht, dann bemühen wir seinen Verstand. Sprechen wir jedoch zu jemandem in seiner eigenen Muttersprache, so berühren wir sein Herz.”. (Mit allen positiven Folgen.) Das Wissen um den soziokulturellen Hintergrund des Anderen spielt eine große Rolle.
– Deshalb ist interkulturelle Handlungsfähigkeit so wichtig.“ Bitte weiterlesen:

> DFG-Präsident: Exzellenzpreis Ansprache

Ziel dieser Initiative der Deutsch-Französischen Gesellschaft und ihrer Kooperationspartner ist es, zur Wertschätzung des Europagedankens, der Mehrsprachigkeit und der grenzüberschreitenden Handlungskompetenz bei Mainzer Jugendlichen beizutragen. Die mit dem Exzellenzpreis ausgedrückte Bedeutung dieser Schlüsselkompetenzen soll nicht zuletzt auf die Chancen aufmerksam machen, die mit dem Erlernen der französischen Sprache in Rheinland-Pfalz einhergehen: Denn dank der über Jahrzehnte gewachsenen Beziehungen zum Partnerland Frankreich ist Französisch heute mit der Möglichkeit verbunden, an einer Vielzahl von Schüleraustauschen und Auslandsaufenthalten teilzunehmen – mit einer Teilhabe in der gesamten Breite der Bevölkerung.

Das Fotoalbum:

Bitte öffnen Sie dieses Fotoalbum mit einem Klick auf ein Foto erst, wenn diese Seite ganz geladen ist und der kleine sich drehende blaue Kreis oben verschwunden ist:

Für Rheinland-Pfalz ist das Erlernen der französischen Sprache in besonderem Maße mit Chancengleichheit in der Bildung verbunden, wenn es um den Zugang zu einer gelebten Mehrsprachigkeit, zu grenzüberschreitenden Erfahrungen und zu einem tieferen Verständnis für Europa geht. Der Erfolg beruht auch auf dem stetigen Engagement der Französisch-Lehrkräfte, die mit der Organisation und Durchführung grenzüberschreitender Schüleraustausche weit mehr als ihren normalen Dienst leisten.

Als renommierter Ort von Kulturerfahrungen gilt das Gutenberg-Museum unter Leitung von Frau Dr. Annette Ludwig seit vielen Jahren als Ort der internationalen Begegnung. Im Rahmen der beliebten Ateliers für Schüleraustausche im Druckladen beispielsweise treten die Jugendlichen aus unterschiedlichen Ländern zusammen in die Fußstapfen von Gutenberg. Der Druckladen des Gutenberg-Museums steuert handgefertigte Urkunden-Unikate für die Nominierten bei. Man kann hier von einem Mainzer Erfolgsmodell sprechen; denn diese persönlichen Urkunden des Gutenberg-Druckladens verbinden für die Jugendlichen unserer Stadt den Ausdruck der Wertschätzung mit einer hohen Identifikationskraft für alle Mainzer: Die Urkunden des Gutenberg-Druckladens sind Symbol einer kulturellen Heimat, mit künstlerischem Können gefertigt. Als „Hingucker“ verweisen diese Mainzer Artefakte auf die Biografie der Ausgezeichneten und unterstreichen damit die Botschaft der Auszeich¬nung, wohin der Lebensweg sie auch tragen mag. Entwickelt wurden die Urkunden von den engagierten Kunstfachkräften des Gutenberg-Druckladens, darunter eine Kalligrafin, ein Druckmeister und eine Frankreich-Expertin.

Besonders hervorgehoben sei, dass alle geehrten Jugendlichen sich nicht nur durch sehr gute Französisch-Kenntnisse auszeichnen. Während der Schulzeit erfolgte eine intensive Auseinandersetzung mit der französischen Sprache, Literatur, Kunst, Kultur und Aktualität. Neben Klassikern wie Molière, Voltaire, Camus und neueren literarischen Werken sind sie auch mit den vielfältigen Facetten der Frankophonie vertraut. Die besondere Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen im Hinblick auf Europa ist ihnen ebenso bewusst wie die Tatsache, dass internationale Austausche zu einem Perspektivenwechsel führen und einen Zugang zu einem tieferen Verständnis für andere Kulturen ermöglichen.

Alfred Grosser wird heute 94 Jahre alt

Freitag, 1. Februar 2019

Unsere Redaktion gratuliert Professor Alfred Grosser sehr herzlich zu seinem 95. Geburtstag.

Alfred Grosser stammt aus Frankfurt/M. (*1925). Sein Vater war Kinderarzt in Frankfurt, er starb 1934 ein Jahr nach der Flucht seiner Familie nach Frankreich. Grosser wird Franzose und studiert nach dem Krieg Germanistik, wendet sich dann aber der Politischen Wissenschaft zu und lehrt ab 1955 Im Institut d’Études politiques (Sciences-Po) in Paris. Er wird Forschungsdirektor an der Fondation nationale des sciences politiques. Von 1965 bis 1994 schreibt er für LE MONDE, danach für La Croix und Ouest-France.

1948 gründet er zusammen mit Emmanuel Mounier u.a. unter ihnen Joseph Rovan das > Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle und bekommt damit einen entscheidenden Einfluss auf die deutsch-französische Wiederannäherung nach dem Zweiten Weltkrieg.

So beginnt ein Artikel, den unsere Redaktion kürzlich für die nächste Ausgabe von Französisch 1/2019 heute verfasst hat: „« Expliquer, expliquer, toujours patiemment expliquer », so oder ähnlich hat sich der Politologe und Publizist Alfred Grosser immer wieder über seine Position als Vermittler zwischen Frankreich
und Deutschland geäußert. Der 2006 eingerichtete Frankreich-Blog [www.france-blog.info] folgt diesem Ansatz und möchte viele Aspekte der deutsch-französischen Beziehungen aufzeigen, erklären und bewerten.“ Mit seinem damals gerade erschienen Buch Wider den Strom: Aufklärung als Friedenspolitik, 1976, in der Tasche habe ich in Sciences Po begonnen, seine Vorlesungen Introduction à la vie politique und L’Allemagne de notre temps zu hören.

Erste Auflage dieser Ausgabe. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1976 (Mai).

Unter seinen zahlreichen Büchern ist die Deutschlandbilanz. Geschichte Deutschlands seit 1945 (1970) ein Standardwerk.

Alfred Grosser ist Träger zahlreicher Orden und Auszeichnungen. 1975 er hielt er der 1975: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für seine Rolle als „Mittler zwischen Franzosen und Deutschen, Ungläubigen und Gläubigen, Europäern und Menschen anderer Kontinente“. Am 1. Januar 2019 erhielt der das Großkreuz der Ehrenlegion.

Ing Kolboom hat an das > Interview der Deutschen Welle mit Alfred Grosser, „…mit diesem großen deutsch-französischen Brückenbauer vom 11.11.2018, hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs“ erinnert.

Wir zitieren hier einen Brief (zitiert auf der Website des > Alfred Grosser Schulzentrums in Bad Bergzabern), den Alfred Grosser 1980 an Neusser Gymnasiasten gerichtet hat:

Liebe Neusser Gymnasiasten!

Es antwortet Euch ein glücklicher Mensch, der Euch in ein paar wenigen Sätzen andeuten möchte, wie das so mit der Freude am Leben gekommen ist.

Meine erste „Erfahrung“ war, als kleiner Judensohn in einer Frankfurter Schule von achtjährigen Kamera- den so verprügelt zu werden, daß ich ins Krankenhaus mußte. Geistige Spuren sind nicht geblieben – außer der Überzeugung, man muß Verführte aufklären, denn die Schuldigen sind die Verführer. Mit 9 kam ich nach Frankreich und habe mich schnell eingelebt, habe aber dabei nie den Kontakt zur deutschen Sprache und Kultur verloren: Man soll offen sein für jeden geistigen Reichtum, auch wenn im Namen eines Volkes Massenmorde vollbracht werden.

Die grausamen Seiten der Kriegszeit haben mich zweierlei gelehrt. Als ich erfuhr, daß ein Teil meiner Familie in Auschwitz umgekommen war, entdeckte ich, daß ich nie eine Menschengruppe (die Deutschen) für kollektivschuldig halten würde, daß ich aber nach dem Krieg für den Aufbau eines anderen Deutschlands mitverantwortlich sein würde, eben weil ich unter dem verbrecherischen gelitten hatte. Und das Gefühl der Mitverantwortlichkeit, das zum Mitwirken führt, ist beglückend.

Und dann habe ich in Marseille, nach einem Bombenangriff, so viele Leichen und verkrüppelte Menschen gesehen, daß ich seitdem alle Dinge im Vergleich zum Tod und zum Elend sehe. Das Glücklichsein erreicht man auch durch den Vergleich (oft mit schlechtem Gewissen!) mit denen, die weniger haben.

Sich eifersüchtig mit denen zu vergleichen, die mehr haben, macht unglücklich. Übrigens: Neid wie Haß, wie Bitterkeit bedeuten Zeitverlust. Denn es bleibt uns wenig Zeit bis zum Tode – und diese Zeit sollten wir nicht mit unnützen Dingen vergeuden!

In späteren Jahren habe ich dann viel äußeres Glück gehabt – im Berufsleben und im Privatleben. Meine Mutter war zugleich meine Mitarbeiterin in der deutsch-französischen Arbeit bis zu ihrem Tod 1968. Ich habe 1959 eine meiner Doktorandinnen geheiratet (die Dissertation ist nie fertig geworden …), und unser Honigmond ist noch nicht beendet. Unsere vier Söhne (19, 16, 11 und 10 Jahre) bringen Freude und Sorgen (je älter sie werden, desto mehr Sorgen …), aber das Grundelement der Freude ist bis jetzt geblieben, weil der gegenseitige Respekt zusammen mit der Liebe geblieben ist. (Übrigens, was ist Liebe? U.a. daß man sich darauf freut, später zusammen alt werden zu dürfen!)

Ich bin mir meiner Privilegien wohl bewußt: Ich stamme aus einer privilegierten Familie, die Kultur und Selbstsicherheit zu vermitteln hatte. Ich habe einen schönen Beruf – und bin dabei sogar Beamter, d.h. daß ich nicht arbeitslos werden kann. Ich bin gesund, und Frau und Söhne sind unversehrt. Aber es geht auch um eine Grundeinstellung (für die ich wenig kann: sie ist weitgehend angeboren; ich versuche aber doch, sie durch Selbstkontrolle aufrecht zu erhalten): Zufrieden sein, ohne sich zufriedenzugeben, so viel Freude wie möglich zu empfangen und zu geben …

So, nun macht mit dieser Predigt, was ihr wollt …

Herzliche Wünsche für‘s Abitur
Alfred Grosser

Alfred Grosser: Mit Deutschen streiten. Aufforderungen zur Wachsamkeit. München (dtv) 1992. S.290f.

> Professor Alfred Grosser – Website von Sciences Po

Auf unserem Blog:

Über sein Leben > Die Freude und der Tod. Eine Lebensbilanz. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2011

> Gedenkstunde im Bundestag: 1914-1918: Alfred Grosser hat am 3. Juli 2014 im Bundestag gesprochen – 3. Juli 2014

> Die deutsch-französischen Beziehungen und die Europapolitik. Ein Gespräch mit Alfred Grosser – 13. September 2013

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