Michel Houellebecq, Soumission

29. Januar 2015 von H. Wittmann



Mit La Soumission (Pairs: Flammarion 2015) hat Michel Houellebecq dieses Jahr einen neuen Roman vorlegt, der unter dem Titel Unterwerfung auf Deutsch (Köln: Dumont 2015) erschienen ist.

In Frankreich gewinnt nach zwei erfolglosen Wahlperioden von François Hollande Mohammed Ben Abbes die Präsidentschaftswahlen und wandelt Frankreich in einen islamischen Staat um. Schon vor seinem Wahlsieg wird die Universität in Paris geschlossen, François, der Erzähler dieser Geschichte und Huysmans-Spezialist, sieht seinen Lehrauftrag in Gefahr. Zunächst verlässt er Paris in Sorge vor einem ausbrechenden Bürgerkrieg. Seine Erlebnisse auf der kurzen Reise bis nach Rocamadour bestätigen seine Befürchtungen. Nach den Wahlen kehrt er wieder zurück und schließt sich nach einigem Zögern dem neuen Regime an.

Rezensionen schreiben sich am besten, wenn man keine andere zur Kenntnis nimmt, nur das zu rezensierende Buch liest und darüber zu schreiben beginnt. Im Fall eines Romans von Houellebecq ist das anders. Das Grundrauschen in den Medien ist schon mit dem Erscheinen des Buchs unüberhörbar. Lob und Anerkennung zum Buch schallen aus allen Kanälen, da kann auch der üblich-schüchterne Auftritt des Autors in Köln kaum etwas daran ändern. Verdient La soumission diese Vorschusslorbeeren?

Kenntnisse der Literaturwissenschaft: Der erste Teil bis S. 44 ist besonders überzeugend. Der Erzähler François (und folglich Houellebecq) beherrscht als Literaturwissenschaftler sein Metier und berichtet mit Sachverstand über seine Beschäftigung mit Huysmans (1848-1907).

Spannung: François berichtet über sein Leben und deutet an, wie die islamische Partei auftaucht und an Stärke gewinnt. Gründe für Ihren Erfolg nennt er nur sehr spärlich, mehr wird der Leser später erfahren. Richtig spannend sind die Seiten 107-164. Die Einführung ist gelungen, schleppt sich aber doch ein wenig. Spannungselemente sind, inwieweit die französische Gesellschaft islamisiert wird, ob sie sich dagegen auch nur ansatzweise wehrt, und schließlich ob der Erzähler sich treu bleibt, oder ob er der Versuchung nachgibt, das großzügige Gehalt als Lehrbeauftragter der islamischen Universität anzunehmen und mitzumachen.

Dramaturgie: Zur Dramaturgie gehört auch die Einführung der Personen, ihre Charakterisierung, und wie sie die Handlung vorantreiben. Er lässt sie zuweilen sehr aus Zufall an den passenden Stellen erscheinen: Myriams Anruf, S. 96, Alain Tanneur, der Ehemann von Marie-Françoise begegnet dem Erzähler unvermutet Martel, gerade passend, um die politischen Aussichten zu kommentieren, wenn die Islamisten die Wahl gewinnen würden. Die drohende Islamisierung der Gesellschaft wird von Tanneur beschrieben, während die Überzeugungen, die der Rektor der Universität dem Erzähler vermittelt, die Islamisierung der Republik als Fakt vermitteln. Es handelt sich dabei um mehrere Erzählblöcke, Monologe, die die Handlung und den Spannungsbogen unterbrechen.

Kenntnisse des Islam: Der Autor ist mit dem Islam gut vertraut und kann ein überzeugendes Bild vermitteln, wie der Islam die französische Republik sich unterwirft. François’ nahezu unkritische, Art dem Rektor der Universität zu folgen verstärkt das negative Bild der Pariser Intellektuellen in diesem Roman.

Stil: Der Stil ähnelt in vieler Hinsicht seinen Vorgänger-Romanen. Wortwahl, Redewendungen, die Wiedergabe der Beobachtungen mit der Andeutung von Bewertungen vermitteln eine Präsenz, die mit dem anfangs eher gespielten Desinteresse des Autors an seiner Umgebung und der politischen Entwicklung in Kontrast steht.

Soziologische Beobachtungen: Houellebecq lässt seine Personen erzählen, äußert aber auch davon unabhängig Antipathien oder Sympathien. Der Philosoph Robert Rediger verkörpert im Roman den Präsidenten der Universität Sorbonne, der François überzeugen will, an die islamische Universität zurückzukehren. Sein Verhältnis zu Rediger ist zunächst distanziert und die Welt, die ihm der Präsident der Sorbonne skizziert, wirkt wie eine Verführung angesichts der Annehmlichkeiten (Finanzen, Wohnung, Frauen), die ihm in Aussicht gestellt wer-den.

Politikanalyse: Seine politische Analyse ist so kurzgefasst, dass sie kaum für eine Erklärung reicht, warum die Islam-Partei siegen kann: Er sei sich seit Jahren darüber über die wachsende Kluft „l’écart croissant, devenu abyssal“ (S. 116) zwischen Bevölkerung und denen, die in ihrem Namen sprächen: Journalisten und Politiker, im Klaren gewesen. Dies müsse notwendigerweise zu einer Art Chaos führen. (Vgl. S. 116). Wie funktioniert politische Verführung (S. 109)? Diese Frage beantwortet Houellebecq ziemlich knapp aber einleuchtend, in dem er die die Rückkehr religiöser Fragen und den fehlenden Widerstand der Intellektuellen in den Blick nimmt. (S. 108 f.)

Idee und Ausführung: Der Roman ist eine Anklage der heutigen Intellektuellen, die angesichts einer desolaten Situation resigniert haben. Dabei spielt die Gestalt des Autors, der das Desinteresse an allem zu verkörpern scheint und damit den Ansatz des Romans bestätigt, kaum eine Rolle. Seine Idee zu seinem Buch beruft sich auf das Unvermögen der regierenden Parteien Kontakt zu ihren Wählern zu halten, womit der qualitative Niedergang der politischen Debatte im Zentrum seiner Kritik steht. Explizit nennt er nur an wenigen Stellen Gründe für das Versagen der politischen Parteien. Schon durch sein Desinteresse, das er am Anfang schildert, gibt er eine Stimmung zu erkennen, die von wenig Lust am politischen Austausch geprägt ist. Das Einlenken der bisherigen Regierungsparteien auf die Islam-Partei gehört zur politischen Science-Fiction. Die Verführbarkeit der Massen hat der Autor, wenn auch nur in einigen Ansätzen, wirklich überzeugend anklingen lassen. Die Frage, ob die Idee zu diesem Buch eine tragfähige Grundlage dieses Romans sei, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, zu einfach ist die Geschichte gestrickt, die sich im Wesentlichen auf die Risse im politischen System beruft, die zu seinem Niedergang führen. Diese Risse sollten die Politiker heute ernst nehmen. Es gibt Gründe, wieso sich immer mehr Wähler von den etablierten Parteien abwenden und sich für die Randparteien interessieren.

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